BLUTIGER FELS
Entnervt
stürmte Eragon aus der kreisrunden Kammer tief unter Tronjheims
Zentrum. Hinter ihm fiel die Eichentür mit einem tiefen Dröhnen ins
Schloss.
Er blieb unter dem Bogenportal stehen,
stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte finster auf das
Bodenmosaik aus rechteckigen Achat- und Jadesteinen. Seit Orik und
er vor drei Tagen in Tronjheim eingetroffen waren, hatten die
dreizehn Clan-Oberhäupter nichts anderes getan, als sich über Dinge
zu streiten, die Eragon für belanglos hielt. Zum Beispiel welcher
Clan das Recht hatte, seine Herden auf bestimmten Weiden grasen zu
lassen. Während er zuhören musste, wie die Oberhäupter über
unverständliche Punkte ihrer Gesetzestexte diskutierten, hätte er
ihnen oft am liebsten einfach zugerufen, dass sie blinde Narren
seien, die ganz Alagaësia Galbatorix’ Herrschaft ausliefern würden,
wenn sie nicht endlich ihre lächerlichen Streitigkeiten begruben
und ohne weitere Verzögerung einen neuen Herrscher wählten.
Tief in Gedanken versunken, schritt er durch
den Tunnel, ohne auf die vier Wachen zu achten, die ihm seit seiner
Ankunft überallhin folgten. Ebenso wenig nahm er die Zwerge wahr,
an denen er auf seinem Weg durch die Halle vorbeikam und die ihn
mehr oder weniger freundlich mit »Argetlam«
grüßten. Die Schlimmste von allen ist
Íorûnn, entschied Eragon. Die Zwergenfrau war die
Grimstborith des Dûrgrimst Vrenshrrgn, eines mächtigen
Kriegerclans, und hatte bei den Beratungen von Anfang an keinen
Hehl daraus gemacht, dass sie den Thron für sich wollte. Nur ein
Clan, die Urzhad, unterstützte sie offen in ihrem Vorhaben. Wie sie
bei den Treffen der Clan-Oberhäupter immer wieder bewiesen hatte,
war sie gerissen, listig und fähig, fast jede Situation zu ihrem
Vorteil zu nutzen. Sie würde eine
ausgezeichnete Königin abgeben, gestand Eragon sich
ein, aber sie ist so verschlagen, dass es
unmöglich ist vorherzusagen, ob sie die Varden unterstützen wird,
wenn sie den Thron erst mal bestiegen hat. Er lächelte
schief. Mit Íorûnn zu sprechen, war immer irgendwie verfänglich für
ihn. Bei den Zwergen galt sie als große Schönheit und selbst nach
menschlichen Maßstäben war sie eine eindrucksvolle Erscheinung.
Zudem schien sie aus irgendeinem unerklärlichen Grund einen Narren
an Eragon gefressen zu haben. Sie war nicht davon abzubringen, in
jedem ihrer Gespräche mit ihm Anspielungen auf die Geschichte und
Mythologie der Zwerge zu machen, die er nicht verstand, die jedoch
Orik und die anderen ungeheuer zu amüsieren schienen.
Neben Íorûnn stellten noch zwei weitere
Clan-Oberhäupter Ansprüche auf den Thron: Gannel, das Oberhaupt des
Dûrgrimst Quan, und Nado vom Dûrgrimst Knurlcarathn. Als Hüter der
Zwergenreligion übte der Clan Quan einen enormen Einfluss aus,
trotzdem hatte Gannel sich bis jetzt nur die Unterstützung zweier
anderer Clans sichern können, des Dûrgrimst Ragni Hefthyn und des
Dûrgrimst Ebardac, der sich besonders den Wissenschaften widmete.
Nado war es dagegen gelungen, mit den Clans Feldûnost, Fanghur und
Az Sweldn rak Anhûin gleich drei Bündnispartner zu gewinnen.
Íorûnn begehrte die Krone der Zwerge
offenbar nur wegen der Macht, die sie ihr verleihen würde. Gannel
schien den Varden nicht grundsätzlich feindselig gegenüberzustehen,
wenngleich er sie auch nicht gerade ins Herz geschlossen hatte.
Nado hingegen wollte absolut nichts mit Eragon, Nasuada, dem
Imperium, Galbatorix, Königin Islanzadi oder, wie Eragon vermutete,
irgendeinem anderen lebendigen Wesen außerhalb des Beor-Gebirges zu
schaffen haben, was er auch unmissverständlich und sehr
nachdrücklich zum Ausdruck brachte. Der Knurlcarathn war der Clan
der Steinmetze und der größte und reichste von allen, denn die
Zwerge waren abhängig von seinen Kenntnissen im Tunnel- und
Gebäudebau, und selbst der Dûrgrimst Ingietum benötigte seine
Dienste, da er das Eisenerz für ihre Schmieden lieferte. Sollten
Nados Bemühungen um die Krone scheitern, würden sich zweifellos die
Oberhäupter unbedeutenderer Clans, die seine Ansichten teilten,
darum drängen, seinen Platz einzunehmen. Zum Beispiel die Az Sweldn
rak Anhûin, die von Galbatorix und den Abtrünnigen beinahe
vollständig ausgerottet worden waren. Dieser Clan hatte Eragon bei
seinem Besuch in der Stadt Tarnag bereits die Blutsfeindschaft
erklärt und seinen abgrundtiefen Hass auf Eragon, Saphira und
alles, was mit Drachen und ihren Reitern zu tun hatte, auch bei
jeder Äußerung in den Clan-Versammlungen offen zur Schau gestellt.
Sie hatten sogar gegen seine Anwesenheit bei den Beratungen der
Clan-Oberhäupter protestiert, obwohl das selbst nach Zwergenrecht
vollkommen legal war. Am Ende hatten sie eine Abstimmung erzwungen
und so die Beratungen um weitere sechs unnötige Stunden
verlängert.
Eines
Tages, so sagte sich Eragon, muss ich einen Weg finden, Frieden mit ihnen zu
schließen. Oder aber ich muss zu Ende bringen, was Galbatorix
begonnen hat. Ich will nicht mein ganzes Leben in Angst vor den Az
Sweldn rak Anhûin verbringen. Wie so oft in den letzten
Tagen wartete er einen Moment auf Saphiras Antwort. Als sie
ausblieb, fuhr ihm der mittlerweile vertraute Schmerz der
Einsamkeit wie eine Lanze durchs Herz.
Es herrschte eine gewisse Unsicherheit, wie
haltbar die Allianzen zwischen den Clans waren. Weder Orik noch
Íorûnn, Gannel oder Nado genossen genug Unterstützung, um eine
Abstimmung zu gewinnen. Daher waren sie alle darum bemüht, die
Loyalität der Clans zu festigen, die ihnen bereits ihre Hilfe
zugesagt hatten, während sie gleichzeitig versuchten, ihren
Kontrahenten die Anhänger abspenstig zu machen. Obwohl er wusste,
wie viel auf dem Spiel stand, ermüdete und frustrierte ihn das
Ganze immer mehr.
Aus Oriks Erklärungen hatte er geschlossen,
dass die Clan-Oberhäupter vor der Wahl eines Herrschers darüber
abstimmen mussten, ob sie überhaupt dazu bereit waren, einen neuen
König oder eine Königin zu wählen. Bei dieser Vorwahl mussten sich
mindestens neun Stimmen dafür aussprechen. Bis jetzt jedoch hielt
keines der Clan-Oberhäupter, einschließlich Orik, seine Position
für gefestigt genug, um diese Abstimmung anzuberaumen und damit den
Weg zur Königswahl zu beschreiten. Diese Phase war, wie Orik gesagt
hatte, die heikelste des ganzen Wahlprozesses und konnte sich
manchmal über einen zermürbend langen Zeitraum hinziehen.
Während Eragon über die Situation
nachdachte, schlenderte er ziellos durch das unterirdische
Labyrinth aus Kammern, bis er in einen trockenen, staubigen Raum
mit fünf schwarzen Torbogen an der einen Seite kam. An der
gegenüberliegenden Wand zeigte ein Flachrelief einen zwanzig Fuß
hohen knurrenden Bären. Die Zähne des Tieres waren aus Gold und die
runden Augen aus geschliffenen Rubinen.
»Wo befinden wir uns hier, Kvîstor?«, fragte
er mit einem Blick auf die Wachen. Seine Stimme hallte durch den
Raum. Er spürte zahlreiche Zwerge in den Stockwerken über ihm,
wusste jedoch nicht, wie er hinaufkommen sollte.
Der Anführer der Wache, ein junger Zwerg von
höchstens sechzig Jahren, trat vor. »Diese Kammern wurden vor
Jahrtausenden von Grimstnzborith Korgan ausgegraben, als Tronjheim
erbaut wurde. Seitdem haben wir sie nicht oft benutzt, außer wenn
sich unser ganzes Volk in Farthen Dûr versammelt.«
Eragon nickte. »Kannst du mich zur
Oberfläche führen?«
»Selbstverständlich, Argetlam.«
Nach einem zügigen Marsch von einigen
Minuten erreichten sie eine breite Treppe mit flachen, für Zwerge
passenden Stufen, die zu einem ebenerdigen Gang im südwestlichen
Teil von Tronjheim hinaufführte. Von dort aus brachte Kvîstor
Eragon zur südlichen der vier riesigen Haupthallen, die Tronjheim
in allen Himmelsrichtungen durchzogen.
Es war dieselbe Halle, durch die Eragon und
Saphira die Zwergenstadt vor mehreren Monaten zum ersten Mal
betreten hatten. Als er sie jetzt durchschritt, um zum Mittelpunkt
des Stadtberges zu gelangen, überkam ihn Wehmut. Er fühlte sich,
als wäre er in der Zwischenzeit um mehrere Jahre gealtert.
In der breiten, vierstöckigen Halle wimmelte
es von Zwergen. Sie alle bemerkten Eragon, davon war er überzeugt,
aber längst nicht jeder nahm Notiz von ihm. Er war dankbar dafür,
da es ihm die lästige Pflicht ersparte, ständig zurückgrüßen zu
müssen.
Als eine Gruppe von Az Sweldn rak Anhûin die
Halle durchquerte, erstarrte er. Die Zwerge blickten wie auf einen
lautlosen Befehl alle zu ihm herüber. Ihre Gesichter wurden von den
violetten Schleiern verborgen, die die Clan-Mitglieder in der
Öffentlichkeit immer trugen. Der letzte von ihnen spuckte vor
Eragon auf den Boden, bevor er mit seinen Brüdern oder Schwestern
in einem Durchgang verschwand.
Wenn Saphira bei mir
wäre, würden sie es nicht wagen, sich so unhöflich zu
benehmen, dachte er.
Eine halbe Stunde später hatte er das Ende
der gewaltigen Haupthalle erreicht. Obwohl er schon früher hier
gewesen war, erfüllte ihn ehrfürchtiges Staunen, als er zwischen
den schwarzen Onyxsäulen, deren Spitzen gelbe dreimannshohe Zirkone
schmückten, hindurchschritt und die runde Kammer im Herzen
Tronjheims betrat.
Ihr Durchmesser betrug mehr als tausend Fuß.
Der Boden bestand aus poliertem Karneol, in den ein von zwölf
Sternen umringter Hammer eingemeißelt worden war, das Wappen des
Dûrgrimst Ingietum und des ersten Zwergenkönigs Korgan. Er hatte
Farthen Dûr entdeckt, als er nach Gold gegraben hatte. Gegenüber
und zu beiden Seiten lagen die Eingänge zu den anderen drei
Haupthallen des Stadtberges. Die Kammer, in der Eragon stand, hatte
keine Decke, sondern reichte bis zur mehr als eine Meile entfernten
Spitze von Tronjheim. Dort öffnete sie sich zum Drachenhort, in dem
Eragon und Saphira untergebracht gewesen waren, bevor Arya den
Sternsaphir zertrümmert hatte. Und darüber sah man ein scheinbar
unerreichbar fernes blaues Stück Himmel, eingefasst von der runden
Öffnung Farthen Dûrs, des hohlen, zehn Meilen hohen Berges, der
Tronjheim vor dem Rest der Welt schützte.
Bis hinunter zum Grund Tronjheims drang nur
wenig Tageslicht. »Die Stadt des Ewigen Zwielichts« nannten die
Elfen sie. Da so selten die Sonne in den Stadtberg schien - bis auf
eine gleißend helle Stunde zur Mittagszeit im Hochsommer -,
erleuchteten die Zwerge das Innere ihrer Stadt mit unzähligen
flammenlosen Laternen. An jeder Säule der Bogenarkaden, die die
Stockwerke des Stadtberges säumten, hing eine Laterne, und in den
Arkaden selbst markierten weitere Lichter die Eingänge zu fremden,
unbekannten Räumen und erhellten die Vol Turin, die endlose Wendeltreppe, die sich von oben bis
ganz nach unten um den Stadtberg wand. Die Beleuchtung wirkte
stimmungsvoll und gleichzeitig spektakulär. Die Scheiben der
Laternen waren bunt, was den Eindruck erweckte, als wäre die Kammer
mit glühenden Juwelen gesprenkelt.
Doch ihr Glanz verblasste neben der Pracht
eines echten Juwels, des größten aller Edelsteine: Isidar Mithrim.
Auf dem Boden der Kammer hatten die Zwerge aus Eichenbrettern ein
Gerüst mit einem Durchmesser von sechzig Fuß errichtet, in dem sie
den Sternsaphir mit akribischer Sorgfalt wiedererstehen ließen. Die
Scherben, die sie noch einsetzen mussten, bewahrten sie in offenen,
mit ungesponnener Wolle ausgepolsterten Kisten auf, die mit
krakeligen Runen beschriftet waren. Diese Kisten nahmen den größten
Teil der Westseite des gewaltigen Raumes ein. Etwa dreihundert
Zwerge hockten vor ihnen und versuchten konzentriert,
zueinanderpassende Bruchstücke zu finden, während eine andere
Gruppe an dem zerborstenen Edelstein arbeitete und dabei ständig
das Gerüst erweiterte.
Eragon sah ihnen einige Minuten bei der
Arbeit zu, dann ging er zu dem Teil der Halle, den Durza
aufgebrochen hatte, als er zusammen mit den Urgal-Kriegern durch
die Tunnel darunter in Tronjheim eingedrungen war. Er tippte mit
der Stiefelspitze auf den glatt polierten Boden. Von dem Schaden,
den Durza angerichtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Die Zwerge
hatten ganze Arbeit beim Beseitigen der Spuren geleistet, die die
Schlacht um Farthen Dûr hinterlassen hatte. Allerdings hoffte er,
dass sie dieser Schlacht durch irgendein Mahnmal gedenken würden.
Das hielt er für wichtig, damit die folgenden Generationen den
Blutzoll nicht vergaßen, den Zwerge und Varden beim Kampf gegen
Galbatorix gemeinsam gezahlt hatten.
Als er sich dem Gerüst näherte, nickte er
Skeg zu, der auf einer Plattform über dem Sternsaphir stand. Er
kannte den geschickten dürren Zwerg bereits. Skeg gehörte dem
Dûrgrimst Gedthrall an, dem Clan, den König Hrothgar mit der
Instandsetzung des kostbarsten Schatzes der Zwerge betraut
hatte.
Skeg winkte ihn zu sich auf die Plattform.
Ein Ausblick über nadelscharfe Zacken, glitzernde, papierdünne
Grate und wellige Flächen erwartete Eragon, als er sich auf die
rauen Bretter gehievt hatte. Die funkelnde Oberfläche des
Sternsaphirs erinnerte ihn an das Eis auf dem Fluss Anora im
Palancar-Tal, wenn es gegen Ende des Winters mehrfach geschmolzen
und erneut gefroren war. Es zu betreten, war dann wegen der Wellen
und Grate, die die Temperaturschwankungen aufgeworfen hatten, sehr
gefährlich. Doch statt blau, weiß oder transparent schimmerten die
Überreste des Sternsaphirs in einem zarten, von orangefarbenen
Streifen durchzogenen Rosa.
»Wie geht es voran?«, erkundigte sich
Eragon.
Skeg zuckte mit den Schultern und ließ die
Hände wie zwei Schmetterlinge durch die Luft wedeln. »Es geht, so
schnell es geht, Argetlam. Perfektion entsteht nicht durch
Eile.«
»Ich habe den Eindruck, als würdet ihr gut
vorankommen.«
Skeg tippte mit einem knochigen Zeigefinger
gegen seine breite, flache Nase. »Arya hat die Spitze von Isidar
Mithrim, die sich jetzt unten befindet, da wir ihn umgedreht haben,
in große Stücke gesprengt und sie zu Boden schweben lassen. Sie
kann man leicht zusammensetzen. Das untere Ende jedoch, das jetzt
oben ist...« Er schüttelte trübselig den Kopf. »Die Gewalt der
Explosion hat all die Bruchstücke nach unten durch die
Blütenblätter der Rose geschleudert und die Verzierungen in winzige
Fragmente zerschmettert. Und die Rose, Argetlam, diese Rose ist der
Schlüssel zu dem Edelstein. Sie ist der filigranste und schönste
Teil von Isidar Mithrim. Und ausgerechnet der ist in die meisten
Stücke zerborsten. Wenn es uns nicht gelingt, sie bis auf den
kleinsten Splitter zusammenzusetzen, können wir den Edelstein
genauso gut unseren Goldschmieden geben, damit sie daraus Ringe für
unsere Mütter schleifen.« Die Worte sprudelten aus Skeg heraus wie
Wasser aus einem überströmenden Becher. Er rief in seiner Sprache
einem Zwerg etwas zu, der eine Kiste durch die Kammer schleppte,
und zupfte an seinem weißen Bart. »Hast du jemals die Geschichte
gehört, Argetlam, wie der Isidar Mithrim zur Zeit Herrans
erschaffen wurde?«
Eragon versuchte, sich an den
Geschichtsunterricht in Ellesméra zu erinnern. »Ich weiß nur, dass
es Dûrok war.«
»Ja«, erwiderte Skeg. »Dûrok Ornthrond -
Adlerauge, wie man ihn in eurer Sprache nennt. Er hat Isidar
Mithrim zwar nicht entdeckt, aber er allein hat ihn aus dem Fels
geschlagen, er allein hat ihn geschliffen und er allein hat ihn
poliert. Fünfundsiebzig Jahre hat er an der Sternrose gearbeitet.
Der Stein hat ihn fasziniert wie nichts anderes. Er hat jede Nacht
bis in die frühen Morgenstunden daran gesessen, denn die Sternrose
sollte nicht nur ein Kunstwerk sein, sondern die Herzen aller
berühren, die sie erblickten, und ihm einen Ehrenplatz an der Tafel
der Götter einbringen. Als seine Frau ihn im zweiunddreißigsten
Jahr seiner Arbeit vor die Wahl stellte, entweder die Last dieser
Aufgabe mit seinen Schülern zu teilen oder sie würde seine Halle
verlassen, wandte er sich wortlos ab und schliff weiter an den
Konturen eines Rosenblattes, mit dem er in diesem Jahr begonnen
hatte. So groß war seine Hingabe.
Dûrok arbeitete an Isidar Mithrim, bis er
mit jeder Linie und jeder Kontur zufrieden war. Dann ließ er das
Poliertuch fallen, trat einen Schritt von der Sternrose zurück,
sagte:,Gûntera, beschütze mich, es ist vollbracht!‹, und fiel tot
zu Boden.« Skeg schlug sich gegen die Brust, was ein dumpfes
Dröhnen erzeugte. »Sein Herz versagte ihm den Dienst. Wofür hätte
es auch weiterschlagen sollen?... Und das versuchen wir hier
wiederherzustellen, Argetlam: fünfundsiebzig Jahre nie ermüdender,
konzentrierter Arbeit eines der besten Künstler unseres Volks. Wenn
es uns nicht gelingt, Isidar Mithrim genau so zusammenzusetzen, wie er war, würden
wir Dûroks Leistung in den Augen all derer schmälern, die die
Sternrose vorher nicht gesehen haben.« Skeg schlug sich mit der
Faust auf den Schenkel, um seinen Worten Nachdruck zu
verleihen.
Eragon beugte sich über das hüfthohe
Geländer und sah zu, wie fünf Zwerge auf der anderen Seite des
Edelsteins einen sechsten an Seilen hinabließen, bis er knapp über
den scharfen Zacken des zerbrochenen Saphirs schwebte. Er griff in
sein Wams, zog einen Splitter aus einer Ledertasche und setzte ihn
mit einer winzigen Pinzette in eine schmale Lücke.
»Wenn die Krönung in drei Tagen stattfinden
würde, könntet ihr Isidar Mithrim bis dahin fertigstellen?«,
erkundigte er sich.
Skeg trommelte mit den Fingern eine Melodie
auf das Geländer, die Eragon bekannt vorkam. »Hätte dein Drache uns
nicht versprochen, ihn zu heilen, würden wir uns mit der Arbeit
nicht so beeilen«, erwiderte er. »Diese Eile ist uns fremd,
Argetlam. Es mag der Natur der Menschen entsprechen, wie aufgeregte
Ameisen umherzuhasten, aber nicht unserer. Trotzdem werden wir
unser Bestes geben, damit der Sternsaphir bis zur Krönung fertig
ist. Sollte sie allerdings tatsächlich in drei Tagen stattfinden...
stünden die Aussichten wohl schlecht. Wäre sie später in der Woche,
könnten wir es wohl schaffen.«
Eragon dankte Skeg für die Auskunft und
ging. Mit den Wachen im Schlepptau suchte er einen der vielen
Speisesäle des Stadtbergs auf: einen langen, niedrigen Raum mit
Reihen von Steintischen auf der einen und Zwergen auf der anderen
Seite, die an Specksteinöfen beschäftigt waren.
Man brachte ihm Sauerteigbrot, einen
weißfleischigen Fisch, den die Zwerge in den unterirdischen Seen
fingen, sowie Pilze und pürierte Wurzeln. Den Wurzelbrei hatte er
bereits bei seinem letzten Aufenthalt in Tronjheim gekostet, doch
er wusste nicht, woher die Knollen kamen. Vor dem ersten Bissen
prüfte er allerdings mit den Zaubersprüchen, die Oromis ihn gelehrt
hatte, ob die Speisen vergiftet waren.
Als er gerade den letzten Bissen Brot mit
einem Schluck dünnem, verwässertem Frühstücksbier hinunterspülte,
betrat Orik mit einem Aufgebot von zehn Kriegern den Speisesaal.
Die Männer setzten sich an einen Tisch, von dem aus sie beide
Eingänge im Auge behalten konnten, während Orik sich mit einem
müden Seufzer auf die Steinbank Eragon gegenüber fallen ließ. Er
stützte die Ellbogen auf den Tisch und rieb sich mit beiden Händen
übers Gesicht.
Eragon wirkte rasch einige Zauber, die
verhinderten, dass sie belauscht wurden. »Haben wir einen weiteren
Rückschlag erlitten?«
»Nein, keinen Rückschlag. Aber die
Diskussionen sind außerordentlich ermüdend.«
»Das habe ich bemerkt.«
»So wie alle anderen deinen Missmut bemerkt
haben«, erwiderte Orik. »Du musst dich ab jetzt zusammenreißen,
Eragon. Wenn wir unseren Rivalen gegenüber irgendeine Schwäche
zeigen, spielen wir ihnen damit nur in die Hände. Ich...« Orik
verstummte, als ein korpulenter Zwerg herangewatschelt kam und
einen Teller mit dampfendem Essen vor ihn hinstellte.
Eragon starrte finster auf die Tischkante.
»Bist du dem Thron ein Stück näher gekommen? Haben wir durch dieses
ewige Gerede wenigstens Boden gutgemacht?«
Orik hob einen Finger, während er auf einem
Bissen Brot kaute. »Wir haben sehr große Fortschritte gemacht.
Schau nicht so missmutig drein! Nachdem du gegangen warst, hat
Havard eingewilligt, die Steuer auf das Salz zu senken, das der
Dûrgrimst Fanghur dem Ingietum liefert. Im Austausch dafür darf
sein Clan im Sommer unseren Tunnel zum Nalsvrid-Mérna nutzen, damit
sie das Rotwild jagen können, das sich während der warmen Monate
rund um den See einstellt. Du hättest sehen sollen, wie Nado mit
den Zähnen geknirscht hat, als Havard mein Angebot
akzeptierte!«
»Pah!«, fauchte Eragon. »Steuern, Wild - was
hat das damit zu tun, wer Hrothgar auf den Thron folgt? Sag mir
ehrlich, Orik, wie stehst du im Vergleich zu den anderen
Clan-Oberhäuptern da? Und wie lange wird sich das alles noch
hinziehen? Mit jedem Tag, der verstreicht, wächst die
Wahrscheinlichkeit, dass das Imperium unsere List durchschaut und
Galbatorix die Varden angreift. Und dann bin ich nicht da, um
Murtagh und Dorn zurückzuschlagen.«
Orik wischte sich den Mund mit einem Zipfel
des Tischtuchs ab. »Meine Position ist gar nicht schlecht. Keiner
der Grimstborithn kann genug Unterstützung vorweisen, um eine Wahl
zum jetzigen Zeitpunkt zu erzwingen, aber Nado und ich haben die
meisten Anhänger. Wenn einer von uns noch, sagen wir, zwei oder
drei Clans für sich gewinnen kann, dürfte die Waagschale sich rasch
zu dessen Gunsten neigen. Havard schwankt bereits. Ich glaube
nicht, dass es noch viel braucht, damit er in unser Lager
überwechselt. Heute Abend werden wir das Brot mit ihm brechen.
Dabei werde ich herausfinden, wie ich mir am geschicktesten seine
Stimme verschaffen kann.« Orik schob sich einen gerösteten Pilz in
den Mund. »Was allerdings die Clan-Versammlung betrifft... die
endet vielleicht in einer Woche, wenn wir Glück haben, oder in
zweien, wenn nicht.«
Eragon fluchte leise. Er war so angespannt,
dass sein Magen brannte und drohte, die Mahlzeit, die er gerade zu
sich genommen hatte, wieder von sich zu geben.
Orik ergriff Eragons Handgelenk. »Weder du
noch ich können etwas tun, um die Entscheidung der Clan-Versammlung
zu beschleunigen. Also reg dich nicht zu sehr darüber auf. Kümmere
dich lieber um das, was du ändern kannst, und lass den Dingen
ansonsten ihren Lauf!« Er ließ ihn wieder los.
Eragon atmete langsam aus und beugte sich
auf die Unterarme gestützt über den Tisch. »Ich weiß. Aber wir
haben so wenig Zeit, und wenn wir scheitern...«
»Was geschehen soll, geschieht«, sagte Orik.
Er lächelte, aber seine Augen waren traurig und leer. »Niemand kann
seinem Schicksal entrinnen.«
»Könntest du den Thron nicht gewaltsam an
dich reißen? Ich weiß, dass du nicht viele Truppen in Tronjheim
hast, aber wer würde sich dir entgegenstellen, wenn ich an deiner
Seite bin?«
Orik erstarrte. Sein Messer schwebte
zwischen Teller und Mund, dann schüttelte er den Kopf und aß
weiter. Zwischen zwei Bissen sagte er: »Ein solcher Plan wäre
verheerend.«
»Warum?«
»Muss ich das wirklich erklären? Unser
ganzes Volk würde sich gegen uns wenden, und statt der Herrschaft
über das Zwergentum würde ich einen bedeutungslosen Titel erringen.
Außerdem würde ich nicht einmal ein zerbrochenes Schwert darauf
wetten, dass wir dann das Jahr überleben.«
»Oh.«
Orik beendete schweigend seine Mahlzeit,
trank einen Schluck Bier und rülpste. Erst dann fuhr er fort. »Wir
balancieren bei stürmischem Wetter auf einem schmalen Grat. Sehr
viele Angehörige meines Volks hassen und fürchten die Drachenreiter
wegen der Verbrechen, die Galbatorix, die Abtrünnigen und zuletzt
Murtagh an uns begangen haben. Ebenso viele fürchten die Welt
außerhalb der Berge, Tunnel und Höhlen, in denen wir uns
verbergen.« Er schob den Bierkrug auf dem Tisch herum. »Nado und
die Az Sweldn rak Anhûin verschlimmern die Situation noch. Sie
spielen mit den Ängsten meines Volkes und heizen die Stimmung gegen
dich, die Varden und König Orrin an. Dieser Clan verkörpert alles,
was wir überwinden müssen, wenn ich den Thron gewinnen will.
Irgendwie muss es uns gelingen, ihre Sorgen zu zerstreuen genau wie
die von allen anderen, die so sind wie sie. Denn selbst wenn ich
König werde, muss ich ihren Anliegen und Nöten mein Ohr leihen,
wenn ich mir das Wohlwollen der Clans bewahren will. Jeder
Zwergenherrscher ist von den Clans abhängig, ganz gleich wie stark
er auch sein mag. Ebenso wie die Grimstborithn von den Familien
ihrer Clans abhängen.« Orik legte den Kopf in den Nacken, leerte
den Krug und knallte ihn auf den Tisch.
»Könnte ich irgendetwas tun, was Vermûnd und
seine Anhänger beschwichtigen würde, zum Beispiel einer Sitte
Respekt zollen oder mich einer Zeremonie unterwerfen?« Vermûnd war
der derzeitige Grimstborith der Az Sweldn rak Anhûin. »Es muss doch
irgendeine Möglichkeit geben, wie ich ihren Argwohn zerstreuen und
diese Fehde beenden kann!«
Orik lachte und stand auf. »Du könntest
sterben.«
Früh am nächsten Morgen saß Eragon wieder in
der Kammer unter Tronjheim, den Rücken an die runde Wand gelehnt,
zusammen mit einer Gruppe auserwählter Krieger, Ratgeber, Diener
und Familienmitglieder der einzelnen Clans, die hochrangig genug
waren, um an der Versammlung teilzunehmen. Die Clan-Oberhäupter
selbst thronten auf massiven gedrechselten Stühlen um den runden
Steintisch, der das Wappen von Korgan und dem Ingietum trug, wie
die meisten Gegenstände von Bedeutung in den unteren Stockwerken
des Stadtberges.
Im Moment sprach gerade Gáldhiem,
Grimstborith des Dûrgrimst Feldûnost. Er war selbst für einen Zwerg
klein - kaum größer als ein Arm lang - und trug eine golden,
rostrot und mitternachtsblau gemusterte Robe. Im Unterschied zu den
Zwergen des Ingietum stutzte er sich weder den Bart noch flocht er
ihn, sodass er ihm wie ein verfilztes Gestrüpp über die Brust fiel.
Er stand auf seinem Stuhl, hämmerte mit der behandschuhten Faust
auf den Tisch und brüllte: »...Eta! Narho ûdim etal os isû vond!
Narho ûdim etal os formvn mendûnost Brakn, az Varden, hrestvog dûr
Grimstnzhadn! Az Jurgenvren qathrid né dômar oen etal...«
»...Nein«, flüsterte Eragons Dolmetscher
Hûndfast ihm ins Ohr, »das werde ich nicht zulassen. Ich werde
nicht zulassen, dass diese bartlosen Narren von Varden unser Land
zerstören. Der Drachenkrieg hat uns geschwächt und nicht...«
Eragon unterdrückte ein gelangweiltes Gähnen
und ließ den Blick träge über die um den Granittisch sitzenden
Zwerge wandern. Von Gáldhiem zu Nado, einem mondgesichtigen
strohblonden Zwerg, der Gáldhiems donnernde Rede mit beifälligem
Nicken kommentierte; dann zu Havard, der einen Dolch benutzte, um
die Nägel seiner beiden verbliebenen Finger der rechten Hand zu
reinigen; zu Vermûnd, dessen Miene unterhalb der düster gefurchten
Stirn allerdings von dem undurchdringlichen violetten Schleier
verborgen wurde; zu Gannel und Ûndin, die miteinander tuschelten,
während Hadfala, eine ältliche Zwergin, Clan-Oberhaupt des
Dûrgrimst Ebardac und dritte in Gannels Allianz, angestrengt das
mit Runen übersäte Pergament studierte, das sie zu jeder
Versammlung mitbrachte. Dann folgten Manndrâth, Oberhaupt des
Dûrgrimst Ledwonnû, im Profil, was seine lange, krumme Nase gut zur
Geltung brachte, und die Grimstborith des Dûrgrimst Nagra,
Thordris, von der er nur ihr welliges kupferrotes Haar sah, das
doppelt so lang war wie sie und sich in einem Zopf auf dem Boden
ringelte. Dann kam Oriks Hinterkopf, der sich auf seinem Stuhl
lümmelte, und daneben Freowin, der Grimstborith des Dûrgrimst
Gedthrall. Der unglaublich fette Zwerg hatte nur Augen für einen
Holzklotz, aus dem er einen kauernden Raben schnitzte. Der
Grimstborith des Dûrgrimst Urzhad, Hreidamar, wirkte gegen Freowin
sehnig und kräftig, hatte auffällig muskulöse Unterarme und tauchte
bei jeder Versammlung in Helm und Kettenpanzer auf. Schließlich
landete Eragon bei Íorûnn, deren haselnussbraune Haut nur von einer
winzigen halbmondförmigen Narbe auf ihrem linken Wangenknochen
verunziert wurde und deren seidig glänzendes Haar von einem
silbernen Helm in Form eines knurrenden Wolfskopfes gebändigt
wurde. Sie trug ein zinnoberrotes Kleid und eine Kette mit
blitzenden Smaragden, deren goldene Fassungen mit uralten Runen
verziert waren.
Íorûnn bemerkte seinen Blick und lächelte
lasziv. Dann zwinkerte sie ihm mit ihren mandelförmigen Augen
anzüglich zu.
Eragons Wangen glühten und die Spitzen
seiner Elfenohren brannten. Rasch schaute er wieder zu Gáldhiem,
der immer noch geschwollen daherredete und sich in die Brust warf
wie ein Gockel.
Wie Orik ihn gebeten hatte, blieb Eragon
während der Sitzung gelassen und gab sich aufmerksam. Als die
Clan-Versammlung zum Mittagessen unterbrochen wurde, eilte er rasch
zu Orik und beugte sich dicht zu ihm, damit niemand sie belauschen
konnte. »Warte mit dem Essen nicht auf mich. Ich habe genug vom
Sitzen und Reden. Ich werde lieber die Tunnel ein bisschen
erkunden.«
Orik nickte zerstreut. »Mach, was du
willst«, murmelte er, »aber sei zurück, wenn es weitergeht. Es wäre
nicht gut, wenn du die Versammlung schwänzt, ganz gleich wie
ermüdend die Diskussionen auch sein mögen.«
»Wie du meinst.«
Eragon drängte sich zusammen mit den Zwergen
- die es eilig hatten, zum Essen zu kommen - aus der Kammer in die
Halle und trat zu seinen vier Wachen, die sich die Zeit mit den
Kriegern anderer Clans im Würfelspiel vertrieben hatten. Dann
marschierte er mit ihnen los und überließ es seinen Füßen, den Weg
zu suchen. Dabei überlegte er, wie er die zerstrittenen Fraktionen
der Zwerge zu einer Einheit gegen Galbatorix zusammenschmieden
konnte. Gereizt stellte er fest, dass die einzigen Methoden, die
ihm einfielen, so abwegig waren, dass sie unmöglich erfolgreich
sein konnten.
Er beachtete die Zwerge, die ihm begegneten,
nur dann, wenn die Höflichkeit es verlangte, einen Gruß zu murmeln.
Ebenso wenig verfolgte er, wo er hinging, denn er vertraute darauf,
dass Kvîstor ihn zur Versammlungskammer zurückführen würde. Obwohl
er für seine Umgebung kaum einen Blick übrighatte, spürte er doch
dem Bewusstsein aller lebenden Wesen im Umkreis von mehreren
hundert Fuß nach, bis hin zur kleinsten Spinne, die in der Ecke
eines Raums in ihrem Netz auf Beute wartete. Er wollte sich nicht
überraschen lassen, falls ihm jemand auflauerte.
Als er schließlich stehen blieb, fand er
sich zu seiner Überraschung in derselben staubigen Kammer wieder,
die er während seines Spaziergangs am Vortag entdeckt hatte. Zur
Linken befanden sich die fünf schwarzen Torbogen, die zu
unbekannten Höhlen führten, rechts das Flachrelief des knurrenden
Bären. Verwirrt von diesem Zufall schlenderte Eragon zu der
Bronzearbeit und blickte zu den glänzenden Zähnen des Bären auf,
während er sich fragte, was ihn wieder hierhergezogen hatte.
Nach einem Moment trat er vor den mittleren
der fünf Torbogen und blickte hinein. In dem schmalen Gang gab es
keine Laternen, sodass er schon nach einem kurzen Stück im Schatten
verschwand. Eragon ertastete mit seinem Geist den Tunnel sowie
einige der verlassenen Kammern, die davon abgingen. Ein halbes
Dutzend Spinnen und einige Motten, Tausendfüßler und Asseln waren
die einzigen Bewohner. »Hallo!«, rief er und lauschte dem schwächer
werdenden Echo seiner Stimme. »Kvîstor, lebt in diesem uralten Teil
der Stadt niemand?«, wandte er sich an seine Wache.
»Nur wenige«, antwortete der Zwerg mit dem
rosigen Gesicht. »Ein paar merkwürdige Knurlan, die die Einsamkeit
der Umarmung ihrer Frauen oder dem Klang der Stimmen ihrer Freunde
vorziehen. Wenn Ihr Euch erinnert, Argetlam, ein solcher Knurlag
hat uns vor dem Nahen der Urgal-Armee gewarnt. Wir sprechen zwar
nicht gern darüber, aber hier leben auch jene, die gegen die
Gesetze unseres Landes verstoßen haben und von ihren
Clan-Oberhäuptern bei Androhung der Todesstrafe verbannt wurden.
Entweder für einige Jahre, oder falls ihre Vergehen besonders
schwer waren, für den Rest ihres Lebens. Für uns sind es lebende
Tote. In der Fremde meiden wir sie, aber wenn wir sie innerhalb
unserer Grenzen erwischen, hängen wir sie auf.«
Nachdem Kvîstor zu Ende gesprochen hatte,
bedeutete Eragon ihm, dass er nun bereit war, diesen Ort zu
verlassen. Kvîstor ging voraus und führte ihn denselben Weg zurück,
den sie hergekommen waren. Die drei anderen Zwerge folgten dicht
hinter ihm. Nach einigen Schritten erhaschte Eragon ein schwaches
Rascheln in seinem Rücken. Es war so leise, dass Kvîstor es
offenbar nicht hörte.
Er sah sich um. In dem gelblichen Licht der
flammenlosen Laternen, die zu beiden Seiten des Tunneleingangs
hingen, sah er sieben ganz in Schwarz gekleidete Zwerge. Ihre
Gesichter waren von dunklen Tüchern verhüllt und sie hatten Lumpen
um die Füße gewickelt. Mit einer Schnelligkeit, die Eragon nur
Elfen, Schatten und anderen Kreaturen zugetraut hätte, in deren
Blut Magie kreiste, rannten sie auf ihn und die Wachen zu. In der
Rechten hielten die Zwerge lange scharfe Messer, deren blasse
Klingen schillerten, und in der Linken Rundschilde, aus deren
Buckel ein spitzer Stachel ragte. Ihren Geist konnte Eragon genau
wie schon bei den Ra’zac nicht wahrnehmen.
Saphira!, war
sein erster Gedanke. Dann fiel ihm ein, dass er allein war.
Er fuhr zu den schwarz gekleideten Zwergen
herum, packte sein Krummschwert und wollte den Wachen eine Warnung
zurufen.
Sie kam zu spät.
Noch während er den ersten Laut ausstieß,
warfen sich drei der unheimlichen Zwerge mit gezückten Dolchen auf
den hintersten seiner Eskorte. Schneller als ein Wort oder ein
bewusster Gedanke stürzte Eragon sein ganzes Sein in den Strom der
Magie, und ohne auf die strukturgebende Kraft der alten Sprache
zurückzugreifen, goss er die Welt in eine Form, die ihm besser
gefiel. Die drei Wachen und die Angreifer flogen wie an
unsichtbaren Drähten gezogen auf ihn zu und landeten neben ihm;
unversehrt, aber verwirrt.
Eragon sackte nach dem plötzlichen
Kraftverlust kurz zusammen.
Zwei der schwarz gekleideten Zwerge stürmten
auf ihn zu und versuchten, ihm ihre nach Blut dürstenden Klingen in
den Bauch zu rammen. Er parierte beide Stöße mit seinem Schwert,
verblüfft von der Schnelligkeit und Wildheit der Zwerge. Eine
seiner Wachen sprang vor, schrie und schwang die Axt gegen die
Möchtegern-Meuchelmörder. Bevor der Drachenreiter den Zwerg am Wams
packen und ihn zurückziehen konnte, fuhr eine weiße, gespenstisch
lodernde Klinge durch den muskulösen Hals des Wächters. Als der
Zwerg zu Boden stürzte, fiel Eragons erschreckter Blick auf das
verzerrte Gesicht - es war Kvîstor. An den Wundrändern des Schnitts
glühte seine Haut rot wie geschmolzenes Eisen und schien sich
aufzulösen.
Sie dürfen mich damit
nicht einmal ritzen, dachte er.
Ergrimmt über Kvîstors Tod, rammte er dessen
Mörder das Schwert so blitzschnell in den Leib, dass der schwarz
gekleidete Zwerg keine Gelegenheit hatte, dem Stoß auszuweichen,
und leblos vor Eragons Füße sank.
»Bleibt hinter mir!«, brüllte er, so laut er
konnte.
Feine Risse zogen sich über Boden und Wände,
und Steinbrocken fielen von der Decke, als seine Stimme durch den
Korridor schallte. Die Angreifer stutzten ob der entfesselten Macht
seiner Stimme, stürmten dann jedoch erneut vor.
Eragon zog sich mehrere Schritte zurück,
damit die Körper auf dem Boden ihn nicht behinderten, ging in die
Hocke und schwang das Schwert wie eine Schlange, die bereit war,
zuzuschnappen. Sein Herz schlug doppelt so schnell wie normal, und
er war außer Atem, obwohl der Kampf gerade erst angefangen
hatte.
Der Korridor war acht Fuß breit, was es
dreien der verbliebenen sechs Feinde ermöglichte, ihn gleichzeitig
anzugreifen. Sie fächerten sich auf; zwei versuchten, ihn von der
Seite zu attackieren, während der dritte von vorn angriff und mit
unglaublicher Schnelligkeit nach Eragons Armen und Beinen
schlug.
Eragon wollte den Nahkampf mit den Zwergen
vermeiden, weil sie keine gewöhnlichen Klingen schwangen. Er sprang
hoch, schlug einen halben Salto, landete mit den Füßen an der
Decke, wo er sich erneut abstieß, wirbelte wieder um seine Achse
und landete auf Händen und Füßen einen Schritt hinter den Zwergen.
Noch während sie herumfuhren, trat er vor und enthauptete die drei
mit einem einzigen Rückhandstreich.
Ihre Dolche landeten einen Lidschlag vor
ihren Köpfen auf dem Boden.
Der Drachenreiter hechtete über ihre
Leichen, machte eine Rolle vorwärts und landete genau dort, wo er
vorher gestanden hatte.
Und das keinen Moment zu früh.
Ein Luftzug streifte seinen Hals, als die
Spitze eines Dolches an seiner Kehle vorbeizischte. Eine andere
Klinge zupfte an seinem Hosenaufschlag und riss ein Loch in den
Stoff. Er zuckte zurück und schwang sein Krummschwert, um sich
Platz zum Kämpfen zu verschaffen. Meine
Schutzzauber hätten ihre Klingen abwehren müssen!, dachte
er verwirrt.
Er schrie unwillkürlich auf, als er in einer
Blutpfütze ausrutschte, das Gleichgewicht verlor und rücklings zu
Boden fiel. Mit einem widerlichen Knirschen krachte er mit dem Kopf
auf den Felsboden. Blaue Lichter flammten vor seinen Augen auf und
er rang nach Luft.
Die drei überlebenden Wachen sprangen hastig
zu ihm und schwangen synchron die Äxte über seinem Körper. Damit
retteten sie ihn vor den schimmernden Dolchen.
Das gab Eragon die Zeit, die er brauchte. Er
sprang auf, schalt sich, dass er nicht schon eher auf die Idee
gekommen war, und schrie einen Zauberspruch, in den er neun der
zwölf Todesworte flocht, die Oromis ihn gelehrt hatte. Doch
unmittelbar nachdem er die Magie freigesetzt hatte, löste er sie
wieder. Denn die schwarz gekleideten Zwerge waren von zahlreichen
Schutzzaubern umgeben. Hätte er ein paar Minuten Zeit gehabt, hätte
er sie sicher umgehen oder durchdringen können, aber Minuten waren
wie Tage in einem solchen Kampf, bei dem eine Sekunde so lang
schien wie eine Stunde. Da ihm die Magie nicht weiterhalf,
schmiedete Eragon seine Gedanken zu einem eisenharten Speer und
schleuderte ihn auf die Stelle, wo das Bewusstsein eines der
Angreifer sein musste. Der Gedankenspeer prallte von einer mentalen
Rüstung ab, wie Eragon sie noch nie erlebt hatte: Sie war glatt und
nahtlos, scheinbar unverletzt von den Ängsten, wie sterbliche
Kreaturen sie in einem Kampf auf Leben und Tod normalerweise
hatten.
Jemand beschützt
sie, wurde Eragon klar. Hinter
diesem Angriff stecken mehr als nur diese sieben.
Er wirbelte herum, machte einen
Ausfallschritt und rammte dem Angreifer ganz links das Schwert ins
Knie. Blut spritzte, der Zwerg schwankte, dann stürzten sich
Eragons Wachen auf ihn, packten den Arm des Attentäters, damit er
seine grässliche Klinge nicht schwingen konnte, und hackten mit
ihren Streitäxten nach ihm.
Nur noch zwei Angreifer waren am Leben. Als
Eragon sich dem nächsten zuwandte, hob der den Schild in Erwartung
eines Schwerthiebs. Eragon sammelte seine ganze Kraft und drosch
auf den Schild ein. Er wollte ihn und den Arm, der ihn hielt, mit
einem Schwertstreich durchtrennen, wie es ihm so oft mit Zar’roc
gelungen war. In der Hitze des Gefechts vergaß er jedoch die
unnatürliche Schnelligkeit des Zwerges. Unmittelbar bevor die
Klinge den Schild traf, winkelte der Zwerg ihn ein wenig an, um den
Schlag abzulenken.
Die Oberfläche des Schilds sprühte Funken,
als die Klinge vom oberen Rand und dann von dem Stachel in der
Mitte abprallte. Der Impuls war stärker, als Eragon erwartet hatte,
und das Krummschwert donnerte mit der Schneide gegen die Wand. Der
Ruck fuhr ihm durch den ganzen Arm und mit einem hellen Klirren
zerbarst die Klinge in ein Dutzend Teile. Eragon blieb nur noch ein
kaum handlanger Zacken am Schwertgriff.
Bestürzt ließ er die zerbrochene Waffe
fallen und packte den Schildrand seines Widersachers. Er rang mit
ihm und versuchte, den Schild zwischen sich und den Dolch zu
halten, um den eine Aureole aus milchigen Farben schimmerte. Doch
der Zwerg war unglaublich kräftig. Er widersetzte sich Eragon nicht
nur, sondern es gelang ihm sogar, ihn einen Schritt
zurückzudrängen. Eragon ließ los, holte aus und schlug, so fest er
konnte, gegen den Schild. Seine Faust durchdrang das Metall so
mühelos wie modriges Holz und aufgrund seiner Knorpelwülste spürte
er keinen Schmerz.
Die Wucht des Schlags schleuderte den Zwerg
gegen die gegenüberliegende Wand. Er fiel zu Boden wie eine
Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte, wobei sein Kopf auf
dem gebrochenen Hals hin und her rollte.
Eragon zog die Hand aus dem scharfkantigen
Loch des Schildes, schrammte sich dabei die Haut an dem
aufgerissenen Metall und zog sein Jagdmesser.
Im nächsten Moment stürzte sich der letzte
der schwarz gewandeten Zwerge auf ihn. Eragon parierte mehrere
Dolchstöße, griff dann selbst an und schlitzte dem Zwerg den
Unterarm vom Ellbogen bis zum Handgelenk auf. Der Attentäter
zischte vor Schmerz und funkelte ihn durch den Schlitz in seiner
Maske aus blauen Augen an. Dann startete er eine ganze Serie von
Angriffen, und der Dolch pfiff schneller durch die Luft, als das
Auge ihm folgen konnte. Eragon musste sich mit einem Sprung vor der
tödlichen Schneide in Sicherheit bringen, doch der Zwerg setzte
nach. Eragon wich mehrere Male vor ihm zurück, bis er mit dem
Absatz gegen eine Leiche stieß. Als er versuchte, den Toten zu
umgehen, strauchelte er, stürzte und prellte sich die Schulter an
der Wand.
Mit einem boshaften Lachen sprang der Zwerg
auf ihn los und stach nach Eragons ungeschützter Brust. Eragon riss
den Arm hoch und rollte sich weg. Er wusste, diesmal hatte sein
Glück ihn verlassen. Er würde nicht entkommen.
Als er dem Zwerg wieder das Gesicht
zuwandte, sah er den fahl schimmernden Dolch wie einen Blitz auf
sich herabfahren. Da verfing sich die Spitze in einer der
flammenlosen Laternen an der Wand. Eragon wartete nicht ab, was als
Nächstes geschah, sondern rollte sich blitzschnell weg. Im nächsten
Moment schien eine gewaltige, glühend heiße Hand seinen Rücken zu
packen und schleuderte ihn gut zwanzig Fuß durch den Gang. Er
landete krachend an einem Torbogen, wobei er sich noch mehr
Prellungen und Kratzer einhandelte. Ein dröhnender Knall betäubte
ihn. Er hatte das Gefühl, ihm würde jemand Splitter ins Trommelfell
bohren. Er heulte auf, schlug die Hände auf die Ohren und kauerte
sich zu einem Ball zusammen.
Als Lärm und Schmerz abgeklungen waren, ließ
er die Hände sinken und richtete sich schwankend auf. Er biss die
Zähne zusammen, als seine Verletzungen sich wie eine Unzahl von
Messerstichen bemerkbar machten. Erschöpft und verwirrt betrachtete
er den Schauplatz der Explosion.
Schwarzer, schmieriger Ruß bedeckte einen
mehr als zehn Fuß langen Abschnitt des Tunnelbodens; Ascheflocken
wehten durch die Luft, die glühend heiß war wie aus einem
Brennofen. Der Zwerg, der ihn hatte erdolchen wollen, wälzte sich -
den Körper voller Brandwunden - am Boden, bis er sich schließlich
nicht mehr rührte. Die drei überlebenden Wachen hatte die Wucht der
Explosion an den Rand des Rußfelds geschleudert. Gerade als er zu
ihnen hinübersah, rappelten sie sich mühsam auf. Blut tropfte aus
ihren Ohren und weit aufgerissenen Mündern, ihre Bärte waren
versengt und zerzaust. Die Kettenglieder ihrer Rüstungen glühten
rot, aber die ledernen Unterwämser schienen sie vor den schlimmsten
Folgen der Hitze bewahrt zu haben.
Er trat einen Schritt vor, blieb jedoch
sofort stöhnend stehen, als ein qualvoller Schmerz zwischen seinen
Schulterblättern aufloderte. Eragon versuchte, mit der Hand danach
zu tasten, aber als er den Arm nach hinten drehte und die Haut sich
dadurch spannte, wurde die Pein schier unerträglich. Er wäre fast
ohnmächtig geworden und lehnte sich Halt suchend an die Wand. Sein
Blick glitt zu dem verbrannten Zwerg. Ich
muss ganz ähnliche Verletzungen am Rücken davongetragen
haben, dachte er.
Er nahm alle Kraft zusammen, konzentrierte
sich und murmelte zwei Heilzauber gegen Verbrennungen, die Brom ihn
auf ihren Reisen gelehrt hatte. Als ihre Wirkung einsetzte, fühlte
es sich an, wie wenn kühles, wohltuendes Wasser über seinen Rücken
laufen würde. Er seufzte erleichtert und richtete sich auf.
»Seid ihr verletzt?«, fragte er die Wachen,
die auf ihn zustolperten.
Der erste der beiden Zwerge runzelte die
Stirn, tippte sich ans rechte Ohr und schüttelte den Kopf.
Eragon fluchte und merkte erst da, dass er
seine eigene Stimme nicht hören konnte. Erneut zapfte er die
Energiereserven seines Körpers an und heilte mit Magie sein Gehör
und das der Zwerge. Als er die Beschwörung beendete, juckte sein
Innenohr schrecklich, doch das Gefühl verebbte mit dem
Zauber.
»Seid ihr verletzt?«, wiederholte er seine
Frage.
Einer der Zwerge, ein stämmiger Bursche mit
einem gegabelten Bart, hustete, spie Blut aus und knurrte: »Nichts,
was die Zeit nicht heilen würde. Was ist mit Euch,
Schattentöter?«
»Ich werde es überleben.«
Er schritt vorsichtig über die verrußte
Fläche und kniete sich neben Kvîstor. Er hoffte, den Zwerg noch aus
den Klauen des Todes retten zu können. Doch als er die klaffende
Wunde am Hals genauer untersuchte, wusste er, dass es hoffnungslos
war.
Er senkte den Kopf, als die Erinnerung an
jüngstes und vergangenes Blutvergießen seine Seele verdüsterte.
Dann stand er auf. »Warum ist die Laterne explodiert?«
»Sie sind mit Hitze und Licht gefüllt,
Argetlam«, antwortete einer der Wachen. »Wenn sie zerbrechen, wird
beides freigesetzt. Dann ist es besser, weit weg zu sein.«
Eragon deutete auf die am Boden liegenden
Leichen der Angreifer. »Wisst ihr, zu welchem Clan sie
gehören?«
Der Zwerg mit dem gegabelten Bart
durchwühlte die schwarzen Gewänder ihrer Angreifer. »Barzûl!«,
fluchte er. »Sie tragen keine Abzeichen, an denen man sie erkennen
könnte, Argetlam. Dafür haben sie jedoch das hier bei sich.« Er
hielt ein Armband aus geflochtenem Rosshaar hoch, in das
geschliffene Amethyste eingearbeitet waren.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Diese besondere Art von Amethyst«, der
Zwerg tippte mit einem rußigen Finger auf den Stein, »kommt nur in
vier Gegenden des Beor-Gebirges vor. Drei davon gehören zum Gebiet
der Az Sweldn rak Anhûin.«
»Grimstborith Vermûnd hat diesen Hinterhalt
befohlen?«, fragte Eragon skeptisch.
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen,
Argetlam. Genauso gut könnte ein anderer Clan gewollt haben, dass
wir dieses Armband finden. Damit wir glauben, dass es die Az Sweldn
rak Anhûin waren, und unsere wahren Feinde nicht erkennen. Aber
wenn ich wetten müsste, Argetlam, würde ich eine Wagenladung Gold
darauf setzen, dass der Dûrgrimst Az Sweldn rak Anhûin für diesen
Anschlag verantwortlich ist.«
»Verdammt sollen sie sein!«, murmelte Eragon
grimmig. »Wer auch immer das war, soll verdammt sein.« Er ballte
die Fäuste, um das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Mit dem
Stiefel tippte er gegen einen der schillernden Dolche der
Meuchelmörder. »Die Zauber auf diesen Waffen und auf den... den
Männern«, er deutete mit einem Nicken auf die Leichen, »Männern,
Zwergen, wie auch immer; sie müssen unglaublich viel Energie
verschlungen haben. Und ich kann mir nicht mal annähernd
vorstellen, wie kompliziert die Formeln dafür waren. Diese Magie zu
wirken, muss sehr anstrengend und sehr gefährlich gewesen sein...«
Er sah die Wachen der Reihe nach an. »Vor euch als meinen Zeugen
schwöre ich, dass weder dieser Mordanschlag gegen mich noch
Kvîstors Tod ungesühnt bleiben wird. Welcher Clan auch immer diese
heimtückischen Mörder auf uns angesetzt hat, wird sich wünschen, er
hätte mich und durch mich den Dûrgrimst Ingietum niemals
angegriffen. Das gelobe ich als Drachenreiter und Angehöriger des
Dûrgrimst Ingietum. Sollte euch jemand fragen, gebt mein Gelübde so
wieder, wie ich es vor euch geleistet habe.«
Die Zwerge verbeugten sich vor ihm. »Ihr
befehlt, wir gehorchen, Argetlam«, erwiderte der mit dem gegabelten
Bart. »Ihr ehrt mit Euren Worten Hrothgars Andenken.«
»Welcher Clan es auch gewesen sein mag«,
meinte ein anderer der Wachen, »er hat die Gesetze der
Gastfreundschaft verletzt; er hat einen Gast angegriffen. Sie
stehen nicht einmal auf derselben Stufe wie Ratten, es sind
Menknurlan.« Er spie aus und die beiden anderen Zwerge taten es ihm
nach.
Eragon trat zu der Stelle, wo die Überreste
seines Schwertes lagen. Er kniete sich auf den rußigen Boden,
berührte mit der Fingerspitze einen der Splitter und fuhr mit dem
Daumen über die gezackte Bruchkante. Ich
muss den Schild und die Wand so fest getroffen haben, dass ich die
Schutzzauber überlastet habe, mit denen ich den Stahl verstärkt
hatte.
Ich brauche ein neues
Schwert, dachte er dann.
Ich brauche das Schwert
eines Drachenreiters.